Lokalisierung

2016


Am Morgen des 03.05.2016 haben wir insgesamt 13 orangefarbene Heliumballons im Stadtbild von Potsdam aufgestellt, um an den einzelnen Standorten auf Missstände in Bezug auf Barrierefreiheit und auf andauernde Beeinträchtigungen aus des Sicht von Menschen mit Behinderungen hinzuweisen.


Jeder Ballon – Durchmesser immerhin mehr als 60 cm und in etwa 2 Meter Höhe für Jedermann gut sichtbar – war mit der Aufschrift Achtung Diskriminierung - www.aktionstag2016.de - bedruckt.

Am Halteseil befand sich ein Wimpel mit einer Zahl, die den jeweiligen Standort kennzeichnete.

Zu finden waren unsere Ballons an folgenden Orten:



Standort 1
Filmmuseum Potsdam

Öffentliche Gebäude müssen im Land Brandenburg barrierefrei sein.

Sie müssen für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise ohne besondere Erschwernisse und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich sein. So sagt es das Gesetz.

Das Filmmuseum Potsdam ist nach umfangreichen Sanierungsarbeiten 2014 wiedereröffnet worden. Es hat zwei Eingänge – den Haupteingang auf der südlichen Seite des Gebäudes und einen zweiten – nur für Rollstuhlfahrer an der nördlichen Rückseite des langgestreckten Flachbaus.

Diese Lösung macht Menschen mit Behinderung wieder zu Objekten fremder Fürsorge und verweist sie auf eine Sonderlösung abseits des Besucherstromes nichtbehinderter Bürger. Dies entspricht nicht unserem Bild von einer gleichberechtigten und selbstbestimmten Teilhabe Betroffener am gesellschaftlichen Leben.




Standort 2
Landtag des Landes Brandenburg


Sie stehen hier vor einem Schloss und doch ist es ein Neubau. Nur die äußere Hülle erinnert an das ehemalige Stadtschloss. Es wurde als Sitz des Landtages des Landes Brandenburg völlig neu gebaut und gestaltet.

Auf der Zuschauertribüne gibt es zwei völlig getrennte Bereiche. Die reguläre Besuchertribüne steht allen Besuchern des Landtages offen. Fast allen, denn Besucher mit Rollstuhl müssen in einen gesonderten, abgetrennten Raum auf der Besuchertribüne.


Mit eine solchen Trennung wollen die Betroffenen nicht mehr leben. Schon gar nicht, in einem erst 2014 fertig gestellten Neubau.

In Deutschland gilt die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nation. Die Inklusion von Menschen mit Behinderung ist die zentrale Vorgabe dieser Konvention.

Inklusion heißt wörtlich übersetzt Zugehörigkeit, also das Gegenteil von Ausgrenzung. Wenn jeder Mensch – mit oder ohne Behinderung – überall dabei sein kann, in der Schule, am Arbeitsplatz, im Wohnviertel, in der Freizeit, dann ist das gelungene Inklusion.

Nicht mehr getrennte Welten für Menschen mit und ohne Behinderung, sondern überall alle gemeinsam.

Auch in anderer Hinsicht gibt es am neuen Stadtschloss einiges zu bemängeln. Ein für Rollstuhlfahrer vorgesehene Rampe im Plenarsaal ist viel zu steil und aus rein ästhetischen Gründen ist die Innenausstattung so kontrastarm, dass Menschen mit Sehbehinderung ihre liebe Mühe haben. Kein Ruhmesblatt für einen Neubau!





Standort 3

Museumshaus „Im güldenen Arm“


Es ist nur eine Stufe und sie zeigt den Kampf zwischen Denkmalschutz und Barrierefreiheit. Er wird in der Potsdamer Kulturlandschaft an vielen Stellen geführt.

Hier hat der Denkmalschutz diesen Kampf für sich entschieden.

Um die ursprüngliche Eingangssituation zum historischen Gebäude wieder zu rekonstruieren, wurde der Gehweg vor dem Eingang extra abgesenkt.

Die Stufe musste einfach sein!

Hätte man statt dessen, den Gehweg auf der vorhandenen Ebene gelassen, gäbe es die ein einzige Stufe zur Hauseingangstür nicht.

Original wäre es dann sicher nicht mehr gewesen, aber was ist schon original?

Denkmalschutz ist aus unserer Sicht kein Selbstzweck – er dient den Menschen, auch den Menschen mit Behinderung. Diesem Zweck kann und muss man die eine oder andere Stufe opfern!




Standort 4
Hauptbahnhof Potsdam Stadt


Dieser Bahnhof ist der Dreh- und Angelpunkt des Potsdamer Nahverkehrs.

Achten Sie einmal darauf, wie viele Aufzüge hier existieren! Alle sind notwendig, um Menschen mit Behinderungen auf den Bahnsteig und zurück zu bringen.

Diese Aufzüge sind ein ständiges Ärgernis. Sie fallen aus und zwar nicht für Stunden, sondern für Wochen. Im Juli 2015 waren gleich vier Aufzüge außer Betrieb.

Nichts dagegen, dass so ein Aufzug auch mal defekt sein kann.

Was nicht sein darf ist aber, dass er nicht nach einigen Stunden repariert wieder seinen Dienst tut. Sind es in Zeiten des Internets und Onlinebestellungen wirklich nicht lieferbare Ersatzteile? Jede Autowerkstatt beschafft jedes Ersatzteil in aller Regel in Stunden. Geht das bei Aufzügen wirklich nicht?

(Foto 12.06.2014)


Standort 5 
Bussteig 694 Nordseite des Bahnhofsgebäude


Die Linie 694 ist eine besondere Buslinie. Von hier geht es unter anderem zum Berufsbildungswerk des Oberlinhauses. Dort erlernen Jugendliche mit Behinderung einen Beruf oder werden in anderer Weise auf eine spätere Berufstätigkeit vorbereitet. Das BBW ist eine erste Adresse für all diejenigen, die auf Grund ihrer Behinderung keines der üblichen Angebote zur Berufsausbildung nutzen können.

Dort wird nicht nur gelernt, sondern auch gewohnt. Viele junge Menschen leben während der Ausbildung in einem der fünf Internatsgebäude.

Die Busse der Linie 694 verbinden das Potsdamer Zentrum mit dem Berufsbildungswerk. Meist ist es kein Problem, auch Rollstuhlfahrer im Bus mitzunehmen. Eine Rampe macht es möglich.

Wussten Sie aber, dass die Potsdamer Verkehrsbetriebe stets nur zwei Rollstuhlfahrer in ihren Bussen mitnehmen? Der jeweils Dritte bleibt draußen – ob Platz ist oder nicht!!!

Das betrifft nicht nur die Busse der Linie 694, es gilt für alle Buslinien in Potsdam.

Ein gemeinsamer Ausflug von drei jungen Rollstuhlfahrer/innen mit dem Bus ins Zentrum – ins Kino, ins Theater, zum Bummeln?

Fehlanzeige!



Standort 6  
DHL Packstationen


Schauen Sie einmal durch die Eingangstür zur Post! Gleich unten ist eine Packstation. Davon gibt es gleich mehrere in Potsdam und eine große Zahl im Land Brandenburg.

In Zeiten des Internet und der Onlinebestellung, sind das ganz nützliche Erfindungen.

Leider nicht für Menschen mit Behinderung. Wer kleinwüchsig ist oder im Rollstuhl sitzt, hat keine Chance, die oberen Fächer der Paketstation zu erreichen. In welcher Box aber das eigene Paket liegt, kann man vorher nie wissen.

Ingenieure und Designer sind gefordert, ihre Produkte so zu entwerfen, dass sie für jedermann nutzbar sind. Das heißt dann übrigens „universelles Design“ und ist meist gar nicht so aufwendig – wenn man nur dran denken will!



Standort 7 
Verbrauchermarkt


Ein Verbrauchermarkt und dann noch ein ganz Neuer, schickt und gerade erst eröffnet.

Ebenerdig zugänglich, keine Drehkreuz, das den Rollstuhlfahrer aussperrt – was gibt es hier den zu meckern?

Schauen Sie einmal durch das große Glasfenster zum Flaschenautomaten! So oder so ähnlich werden Sie diese Automaten in fast jedem Supermarkt finden. Eine Handvoll Hersteller teilt sich den deutschen Markt und lobt seine Produkte als benutzerfreundlich.

Es sei denn, man rollt mit dem Rollstuhl zum Flascheautomaten und will mal eben so das Leergut loswerden. Für Menschen ohne Behinderung eine Selbstverständlichkeit. Für Menschen mit Behinderung mitunter einfach nicht zu schaffen.

Keiner der großen Hersteller hat einen Automaten im Angebot, der Flaschen in einer wirklich benutzerfreundlichen Höhe ermöglicht. Technisch wäre es sicherlich kein Problem, solche Automaten zu entwickeln – man muss nur wollen!!!

Ach übrigens: Als die ersten Flaschenautomaten auf den Markt kamen, haben wir die großen Hersteller angeschrieben und auf das Problem hingewiesen. Geantwortet hat keiner.




Standort 8  
Behindertenparkplatz Lindenstraße


In den Innenstädten ist es nicht ganz leicht, einen Parkplatz zu finden. Bleibt die Suche ergebnislos, nimmt der Autofahrer zähneknirschend auch einen weiteren Fußweg in Kauf, nur um sein Gefährt überhaupt loszuwerden.

Für Menschen mit Behinderung ist das nicht so einfach möglich. Deshalb gibt es Sonderparkgenehmigungen und markierte Stellplätze, die nur von eine genau bestimmten Personenkreis genutzt werden können.

Dann kann auch der Rollstuhlfahrer in der Innenstadt einkaufen, bummeln, sich mit Freunden zum Essen in einem der vielen kleinen Restaurants verabreden. Das ist gelebte Normalität.

Schön das es solche Sonderparkplätze gibt. Um 20:00 Uhr ist dann aber Schluss mit Bummeln und gemütlich Essen gehen. Wer als Mensch mit Sonderparkgenehmigung abends nach acht hierher fährt und sein Auto parken will kommt zu spät?

Warum eigentlich?




Standort 9
Gutenbergstraße 100 - 102


Hier steht man sozusagen auf historischen Grund, mitten in der zweiten barocken Stadterweiterung. Historisch ist auch das Pflaster. So oder so ähnlich müssen früher die befestigten Straßen in der Stadt ausgesehen haben. Wie gemacht für Kutschen und Pferdewagen mit großen Rädern.

Für Menschen, die auf die Benutzung eines Rollator, eines Rollstuhls oder auch nur auf zwei Gehstützen angewiesen sind, ist so eine Straße schlicht ein Graus.

Ungeschnittenes Großkopfpflaster, in ungebundener Bauweise, breit verlegt mit großen Abständen zwischen den Pflastersteinen ist die behindertenfeindlichste Art, eine innerstädtische Straße zu bauen.

Und es werden noch immer Straßen so gebaut. Sie stehen gerade auf einer!

Warum man das tut? Meist weil es so schön historisch aussieht. Dabei gibt es Alternativen:

geschnittenes Pflaster, eng und gebunden verlegt und man hat beides: ein historische Design und zufriedene Rollstuhlfahrer und Rollatorengänger.




Standort 10
Telefonstation
Friedrich-Ebert-Straße/Brandenburger Straße


Achtung!!! Sie befinden sich an einem sehr gefährlichen Ort. Jedenfalls wenn Sie blind sind und einen Langstock benutzen. Sie wissen schon, dass ist der weiße lange Stock, mit dem blinde Menschen den Weg vor sich nach Hindernissen abtasten.

Das klappt meist ganz gut und mit der nötigen Übung kann man sich selbständig in den Städten bewegen. Gefährlich wird es immer dann, wenn Hindernisse in Kopfhöhe in den Gehweg ragen, die mit dem Langstock am Boden nicht zu ertasten sind.

Das ist hier der Fall. Der Langstock findet auf dem Gehweg kein Hindernis – der blinde Mensch läuft ungebremst gegen die halbhohe Plexiglasscheibe der Telefonstation.

Es gibt in Zeiten der Mobiltelefone zwar nicht mehr viele solcher Stationen, aber glauben Sie uns, Hindernisse in dieser Art gibt es reichlich. Es ist auch gar nicht so aufwendig, solche Gefahrenstellen zu entschärfen. Es genügt, wenn man eine geeignete Markierung in das Pflaster des Gehweges einlässt.




Standort 11
Ecke Lindenstraße 65 / Hegelallee


Wissen Sie was eine Bordsteinabsenkung ist? Das sind die Stellen, über die sich Eltern mit Kinderwagen ebenso freuen, wie Senioren mit einem Rollator, Rollstuhl- oder Fahrradfahrer.

An Kreuzungen und Einmündungen haben die Straßenbauer dann den Bordstein bis auf eine Höhe von ca. 3 cm abgesenkt und Mobilitätsbehinderte gelangen problemlos vom Gehweg auf die Straße und zurück.

So weit die Theorie.

Praktisch wissen leider viele Händler, Gewerbetreibende, Autofahrer usw. nicht, warum diese Absenkungen so schrecklich wichtig sind.

Deshalb werden sie von parkenden Autos zugestellt oder mit Grünpflanzen und Fahrradständern blockiert. Hier ist die Fläche vor den Absenkungen zu einem großen Teil durch die Tische und Stühle einer Gaststätte in Anspruch genommen.

Keine freie Fahrt mehr für Mobilitätsbehinderte.


 
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